Sonntag, 06 Mai 2012 [Woche 30]
by XShipper
Zum Glück kam alles anders



ach, Robert… mein lieber Robert! In seiner ganzen aufbrausenden Art kann er sehr laut und auch ungestüm werden. Eigentlich hat er nur Angst, ist verunsichert und benimmt sich wie ein kleiner Junge, der einfach nicht allein gelassen werden möchte. Ist ja nicht so, dass ich ihn verlassen werde. Aber ich habe Verpflichtungen gegenüber meinem Verleger. Und der hatte sich diese Woche gemeldet, weil es endlich einen Termin für die Buchpräsentation gibt… also, die Lesereise durch Italien. Robert ist bekanntermaßen von der ganzen Idee nicht sonderlich angetan, dabei konnte ich die Anzahl der einzelnen Stationen drücken und sogar die Dauer verkürzen. Ich werde nur eine Woche unterwegs sein und lediglich ein paar Städte abklappern, um den Trollen in den jeweiligen Kindergärten Auszüge sowohl von „Emil lernt fliegen“ als auch von der noch unfertigen Geschichte zu „Romeo und Julia“ vorzulesen. Jeweils die Anfänge, damit die Kleinen neugierig gemacht werden auf die vielen Abenteuer, die da noch kommen.

Wenn sich mein Mann nur nicht so affig aufführen würde – er scheut wie Emil mit den Hufen, so bockig ist er –, hätte ich schon wesentlich mehr Episoden zum verliebten Waschbären und der kleinen Häsin. Eigentlich schade, weil Valentina liebt diese Erzählungen. Aber Robert ist die meiste Zeit im Streik. Ich gestehe, ohne ihn macht es einfach keinen Spaß und mir fehlt sonst irgendwie die Inspiration. Unsere Kinderbücher sind doch ein Gemeinschaftsprojekt. Jedenfalls hat er seine Phasen, in denen ihm alles gegen den Strich geht oder in denen er seufzend angekrochen kommt. Entweder ihm passt es nicht, weil meine Verpflichtungen doch zuhause liegen und wir ein Kind haben, das versorgt und betreut werden muss. Oder er sieht es ein, weil es mein Job ist und ich ja bald wieder daheim sein werde, er mich unendlich vermissen wird und vermutlich keinen Finger krumm macht vor lauter Sehnsucht… außer Valentina zupfe ihm am Hosenbein.

Im Moment haben wir uns zum Glück wieder eingekriegt. Sobald heute Valentina nach einer süßen „Gute Nacht“-Geschichte im Bettchen liegt, werden Robert und ich das Nachtleben von Verona auskosten. Ich freue mich schon darauf, denn nachts ist es hier wirklich schön… wenn in den vielen Nischen und schmalen Gassen die Lichter brennen, wenn man unter die Unterführungen hindurch flaniert oder von allen Seiten her die Klänge aus den Restaurants und Cafés ans Ohr dringen, wenn man das pure Leben praktisch unter seinen Füßen auf den Pflastersteinen pulsieren fühlt …




…ach, die Abwechslung wird uns ganz gut tun und vor allem ablenken.

Weißt du, liebes Tagebuch, dass Robert heute mein Ehemann ist, beruht auf keiner Selbstverständlichkeit, die sich einfach so ergeben hatte. Der Zufall wollte es, dass wir uns kennenlernten und ich das Kindermädchen von seiner neugeborenen Tochter wurde. So war es lange Zeit und fast wäre mehr auch daraus nicht geworden. Zwischenzeitlich gab es ja Markus, meine einstige Jugendliebe. Als ich noch jung war, dachte ich, mit ihm würde ich meinen Lebensabend verbringen. Aber das Schicksal hatte andere Pläne und entriss ihn mir. Lange hatte ich um ihn getrauert… bis ich Robert traf. Wir teilten praktisch das gleiche Los, hatten wir doch beide unsere erste große Liebe an den Tod verloren. Eigentlich eine sehr interessante wie auch tragische Konstellation, die uns einander näher brachte. Schließlich verstand ich ihn und er war mit seiner Trauer nicht alleine. Doch Markus‘ Auftauchen am Fürstenhof brachte natürlich alles durcheinander: Meine Beziehung zu Robert und meine komplette Gefühlswelt. Ich wollte glauben, dass es Fügung sein musste und ich eine neue Chance bekommen hätte, sodass mein alter Traum aus Jugendtagen doch noch wahr würde. An dieser Vorstellung klammerte ich mich regelrecht und wollte auf Gedeih und Verderb Markus heiraten. Mit dieser Einstellung jedoch verletzte ich ausgerechnet die Menschen, die mir im tiefsten Innersten meines Herzens am meisten bedeuteten. Ich war blind. Mein Verstand sagte mir, ich müsse mein Glück am Schopfe fassen und endlich handeln. Also wollte ich so schnell wie möglich vor den Traualtar und meine Zukunft an der Seite mit Markus besiegeln. Das alles ist jetzt ein Jahr her, und mittlerweile weiß ich, dass ich damit vermutlich den größten Fehler meines Lebens begangen hätte. Irgendeine Macht da oben wusste es letztlich besser, auch wenn der Fingerzeig nicht deutlicher hätte ausfallen können als der plötzliche Tod von Götz Zastrow, der mein Schwiegervater hätte werden sollen. Er starb an meinem Hochzeitstag. Und in wessen Arme flüchtete ich mich? Mein Herz kannte die Wahrheit, doch das laute, wilde Pochen überhörte ich vor lauter Schluchzer. An Roberts starker Schulter weinte ich jämmerlich. So wie ich für ihn da war, als Miriam starb und seine Welt in Scherben sowie dunkel vor ihm lag, war er nun an meiner Seite, selbstlos und stark. Ich denke nicht gern an diesen Tag zurück, zumal eine schreckliche Odyssee damit ausgelöst wurde. Robert geriet völlig unschuldig unter Mordverdacht, bei Markus wurde bei all dem Durcheinander ein vermeintlich inoperabler Gehirntumor festgestellt und ich stand kurz davor beide Männer zu verlieren.

Gedanklich hing ich ein Jahr danach verrückten Zukunftsfantasien wie WAS WÄRE, WENN nach. Ich fragte mich, ob es Markus ebenso erging, also hinterließ ich auf seinem Handy eine Nachricht. Eine Weile verging, doch nichts geschah. Die Zeitverschiebung war schließlich schuld, dass er sich spät abends endlich meldete. Natürlich genau dann, als Robert und ich schon längst im Bett lagen… und wir lagen nicht einfach nur!!! „Ausgerechnet DER TYP ruft mitten in der Nacht SEINE EHEFRAU an?!“, hallt es durchs Schlafzimmer und ich hatte daraufhin durchaus Mühe, das Mobiltelefon heile aus den Klauen eines eifersüchtigen Roberts zu haschen. Doch als ich mir mit dem Ding endlich eine ruhige Ecke suchen konnte, warf ich ihm eines der Kissen zu, welches bei der Rangelei vom Bett gefallen war, und versicherte ihm, dass wir kein Bildtelefon hätten und ich Markus auch wissen lassen werde, wie glücklich verheiratet ich doch sei. Mein Mann ließ mich zufrieden und Kopf nickend ziehen. Das Telefonat dauerte nicht wirklich lange, aber es war schön, seine Stimme mal wieder gehört zu haben. Das mit seinem Vater rief bei uns beiden dunkle Erinnerungen wach und ich bekundete nochmals mein Beileid, als wir auf dieses Thema zu sprechen kamen. Irgendwie war es seltsam, über unsere Eltern zu sprechen, die wir beide nicht mehr haben. Doch Markus versicherte mir, es ginge ihm gut, er sei glücklich und er wäre froh zu hören, dass ich es auch sei. Als er auflegen musste, weil er sich gerade sonst wo in der Weltgeschichte umtrieb, verabschiedete ich mich mit einem lachenden sowie weinenden Auge. Es fühlte sich jedoch wundervoll an, eines der bösen Geister der Vergangenheit beiseite geschafft zu haben. Und Robert war wie ein schuldbewusster Schmusekater, nachdem ich wieder zu ihm unter die Decke gekrabbelt war und ihm davon erzählte, dass ich nur wegen Götz‘ Todestag bei Markus um Rückruf gebeten hatte. Ich sag ja, bei ihm ist es zurzeit ein heilloses Auf und Ab!

Zum Glück überwiegen die guten Momente. Die einzige Konstante ist Valentina. Sie lacht jeden Tag und bringt so den Sonnenschein ins Haus, rauscht wie eine Rennsemmel durch die Wohnung und auf der Straße vorm Kinderwagen davon, findet alles faszinierend und steckt es in den Mund, freut sich über kleine Marienkäfer im Gras am Rande des Spielplatzes und nimmt ihre Püppi überall mit hin, um ihr die weite Welt zu zeigen. Sie ist wirklich goldig und unser wertvollster Schatz. Es wird mir schwer fallen, sie eine Woche lang nicht sehen zu können. Aber pünktlich zu ihrem Geburtstag werde ich wieder zuhause sein. Unsere Prinzessin macht sich nicht viel aus Geschenken, für sie zählen ja eher buntes oder knisterndes Papier, welches sie aufreißen und in die Luft werfen kann. Außer neulich beim Kinderstraßenfest – seitdem ist sie ganz vernarrt in ihren neuen Sabberlatz, den wir bei einem kleinen Stand dort haben extra für sie anfertigen lassen. Ihr Name steht in großen Lettern drauf, und am Liebsten rennt sie mit dem Ding um den Hals damit den ganzen Tag rum.



Na gut, mal sehen, was die nächsten Stunden so bringen werden.

Deine