Dienstag, 01 Mai 2012 [Woche 29]
by XShipper
Von Grau zu Blau



wenn ich so durch deine Seiten blättere, muss ich immer wieder feststellen, wie schnell die Zeit verging und wie viel bereits passiert ist, seitdem wir hier in Verona leben. Auf der einen Seite erscheint es mir, als wohnten wir schon seit Jahren hier, auf der anderen Seite ist es gerade mal knapp über ein halbes Jahr erst her, dass wir vom Fürstenhof hier her zogen. Und du bist so prall gefüllt mit Geschichten, Zeichnungen, Fotos – genauso hatte ich es mir vorgestellt, als ich dich aus dem Geschenkpapier auswickelte.

Sicherlich könnte das ein oder andere mehr in dir drin stehen sowie etliche Fotos zusätzlich, aber du platzt ja jetzt schon fast aus allen Nähten. Ich weiß gar nicht, ob ich sparsamer mit meinen Worten umgehen sollte, … nein, dann dürfte ich das ja hier jetzt nicht alles schreiben! Wenn du voll bist, bist du voll. So und nicht anders war das von mir geplant! Auch wenn ich mir anfangs gewünscht hätte, zu dieser Zeit könnte man gewiss andere Dinge in dir lesen – aber so ist das Leben! Und ich bin froh, dich als Erinnerung daran mein Eigen nennen zu können.

Später, wenn Robert und ich als alter Opa und graue Omi mit unseren Enkeln zusammen sitzen, können wir aus dir vorlesen. Ach, das wäre so schön! Wenn du mein breites Grinsen gerade sehen könntest und wie ich dieser Vorstellung hinterher schmachte – ich sitz hier auf der Terrasse und genieße die kurze Sonnenperiode nach all dem Regen der letzten Tage…



…ein bisschen Schwermut bei all der fröhlichen klingenden Musik aufgrund der vielen Feste da draußen sei mir daher verziehen.

Das nasse Wetter hing wie ein kalter, schwerer Vorhang übers Gemüt und drückte ziemlich die Stimmung. Auch wenn ich gern draußen unterwegs bin, egal ob es scheint oder stürmt, so erwischte ich mich oft in den römischen und kühlen Katakomben unterhalb unseres Restaurants. Vielleicht war es einfach nicht meine Woche – ich weiß nicht. Dabei gab es durchaus gute Neuigkeiten, über die man sich doch hätte freuen müssen. Tue ich ja auch, aber Neid ist nicht so mein Ding, obwohl ich irgendwie neidisch bin: Laura und Alexander erwarten wieder ein Kind… und das ist wirklich eine gute Nachricht. Aber als Robert mit ihnen telefonierte und ihre frohe Botschaft an uns laut wiederholte, da blickte er mich an und wir beide fühlten den Stich in unseren Herzen!

Daraufhin tat mein liebster Chaot geheimnisvoll und war dauernd außer Haus. Ich nahm an, er verkriecht sich, besäuft sich mit teurem Wein in irgendeiner Ecke und lässt seinen Kummer als Tränenmeer freien Lauf. Das hatten wir alles schon. Da ich mich jedenfalls so fühlte, sah ich mich außerstande, ihm zu helfen. Stattdessen war er es, der mir aus dieser Lethargie half und nur so vor Hoffnung und Zuversicht wie eh und je strotzte.

An seinem freien Tag am Montag, brachte er am frühen Morgen unsere Prinzessin zu Jacob. Debby war zwar schon zur Uni unterwegs, aber mein Bruder unternimmt gerne was mit dem Spatz. Mit einem leckeren süßen Frühstück am Bett weckte er mich wenig später und hieß mit mir den Tag willkommen. Mir war, als würde ich noch schlafen und aus diesem samtig himmlischen Traum nicht aufwachen. Die Schwermut wich einer wolligen Gemütlichkeit und ich grinste wie eine verliebte 17-Jährige über beide Ohren.

Mein Charmeur entführte mich und wollte mir nicht verraten, wohin es ging. Stattdessen verband er meine Augen und geleitete mich sicher durch die verwinkelten, engen Gassen von Verona. Ich hörte die verschiedenen Sprachen der vielen Touristen – also kamen wir an diversen Sightseeing-Plätzen vorbei. Ich hörte wunderbare Glockenspiele, die noch ewig nachhielten – demnach kreuzten imposante Kirchen, von denen Verona sehr viele hat, unseren Weg. Das Wasser des Etsch sprudelte mir von links nach rechts durchs Ohr und schließlich flussabwärts – was bedeutete, wir überquerten eine der vielen Brücken von Verona… doch welche vermochte ich nicht zu deuten. Es wurde ruhiger, es wurde steiler – demnach waren wir nicht mehr im Zentrum von Verona. Schließlich roch ich das saftige Grün der Natur, welche sich nach all dem Regen nun der Sonne entgegen streckte, gedieh und blühte; und Robert gewehrte mir wieder die Sicht.






Als er den Knoten vom Tuch löste und dieses mir von den Augen rutschte, war ich beinahe blind und musste mehrmals blinzeln. Doch dann stockte mir der Atem und ich blickte auf einen wunderschönen Garten. Er ähnelte dem von damals stark; und wären wir mit dem Auto gefahren anstatt zu Fuß hier her, hätte ich wohl angenommen, wir wären dort. Mein Mann schien unsicher, ob mir seine Überraschung gefiele, doch als er mich strahlen sah, fiel bei ihm alle Anspannung der letzten Tage… so wie bei mir.




Robert nahm mich an die Hand und führte mich zu einer kleiner Bank in der Anhöhe im hinteren Teil dieser wunderbaren, verwunschenen Landschaft. Aus einer Tasche holte er eine kleine Schachtel hervor und öffnete sie, während ich wie gebannt ihm gegenüber saß. Und da war es: das Symbol unserer Liebesgeschichte, die einst hier in dieser Stadt begann. In jeder freien Minute ist er die Souvenirläden abgeklappert und hatte danach gesucht. Er wollte die Hoffnung schon aufgeben und es als schlechtes Omen für unsere Zukunft deuten, doch dann … praktisch um die Ecke … stand diese eine, unsere Schneekugel im Schaufenster als eine der letzten ihrer Art.



So einzigartig, so wertvoll wie unsere Liebe. Sie ist unser Glücksbringer – und er hatte sie damals kaputt gemacht. Vielleicht wollten deshalb unsere Wünsche nicht Erfüllung gehen. Doch diese neue Schneekugel, so sprach er mit gebrochener, heiserer Stimme, soll uns wieder daran glauben lassen, dass unsere Träume wahr werden können. Robert brauchte nicht viel sagen, aber es war dennoch eine wirklich süße Liebeserklärung. Ok, nachdem wir uns daraufhin küssten, fügte er hinzu, ich solle doch aber bitte das Flirten mit seinem Kellner George lassen. Dass ich deswegen laut loslachte und ihn in die Seite boxte, sei mir verziehen… ich flirte mit Männern, die nicht Robert heißen? Wo denkt er hin!? Sein treudoofer Hundeblickt brachte ihm dafür noch einen dicken Schmatzer ein.

Wir schlenderten verliebt und glücklich mit voller Zuversicht noch eine Weile im Garten umher, bis wir uns auf den Weg nach Hause machten, um mit dem Auto zum Bauernhof meines Bruders zu fahren. Als wir dort die Zufahrt zum Hof erreichten, kam uns eine Kolonne schwarzer Limousinen entgegen. Jacob meinte, das war hoher Besuch und somit potentielle Interessenten. Ein bisschen mulmig war mir zumute, da er mit Valentina allein auf dem Gut gewesen war. Jedenfalls machte er keinen großen Hehl draus, also genossen wir den Nachmittag und feierten dann, nachdem Debby auch zurückkam, ausgiebig in den “Primo Maggio“, dem 1. Mai, hinein.

Tja, nun sitz ich hier und lausche dem bunten Treiben dieser Stadt, höre die verschiedenen Klänge von den unzähligen Konzerten, die heute überall stattfinden, und warte sehnsuchtsvoll darauf, dass mein Mann mit einer frisch gewickelten Valentina zurück auf die Terrasse kommt. Mal sehen, wie unsere Tagesplanung ausfällt und was wir heute als Familie am ”Festa del Lavoro” noch unternehmen werden. Vielleicht besuchen wir ja auf der Piazza Arsenale das Kinderfest „Festa del Bambina“, welches nur noch bis heute geht. Da soll es alles geben, was das Kinderherz begehrt: eine große Rutsche und Hüpfburg, Krabbelraupen, Auto-Scooter, Clowns und Jongleure, bunte Luftballons und Zuckerwatte.



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