Mittwoch, 04 Januar 2012 [Woche 12]
by XShipper
Evas Jahresrückblick

wenn du wüsstest, was für ein Jahr hinter mir liegt. Hinter uns! Ich habe dich zwar erst seit kurzem, aber es gibt so viele Dinge, von denen du Nichts weißt. Robert und ich liegen hier in unserem neuen Zuhause noch in den Federn – es ist zu früh, um jetzt schon aufzustehen… wir lassen das neue Jahr ruhig angehen. Draußen dämmert es zwar bereits, die ersten Strahlen des Tages zwängen sich durch die Lamellen der Schlafzimmer-Schalousie.
Eigentlich wollte ich mir die letzten Einträge auf deinen Seiten in Ruhe nochmal durchlesen, das Vergangene Revue passieren lassen und mich daran erinnern, was alles so geschehen ist, seit wir hier in Verona leben. Aber ich muss gestehen, ich hab einen kleinen Kater von der gestrigen Silvesterfeier, also war es mir gänzlich egal, ob Robert mitliest oder nicht. Er war jedoch auf die Idee gekommen, dich das wissen zu lassen. Mein Mann suchte sich noch schnell seine rote Shorts, die irgendwo im Schlafzimmer versteckt rumlag, schlich sich kurz hinaus in unsere Küche und kam mit einem leckeren Frühstück sowie einem Kuss zurück ans Bett! Ein bisschen Zeit ist uns vielleicht noch vergönnt, bis unsere kleine Prinzessin wach wird; und bis dahin erinnern wir uns gemeinsam zurück:

Mit einer Menge Wehmut und Trauer im Herzen halten wir uns eng umschlungen, wir fühlen den Verlust immer noch so stark als wäre es erst gestern geschehen. Pünktchen… unser erstes gemeinsames Kind, welches wir noch vor einem Jahr erwartetet hatten. Unsere Beziehung stand auf Messers Schneide, aber wir hatten die Hoffnung, als Familie könnten wir alles meistern. Bis… ja, bis das Blut mein Bett tränkte und alle Zukunftsaussichten mit sich besudelte. Ich hatte eine Fehlgeburt und damit zerbrach alles. Robert als auch mir plagen heute noch Gewissensbisse und uns beiden tut es so sehr leid, was daraufhin folgte. Aber aus Fehlern und Tragödien lernt man, so ist es doch. Aber ehe wir das begreifen sollten, vergingen noch viele Monate. Ich war blind vor Schmerz und flüchtete mich vor diesem Gefühlschaos… nur um mich Hals über Kopf in ein anderes zu stürzen.

Ich liebe Kinder, aber Robert fühlte sich so dermaßen vom Pech verfolgt, dass er mehr Zeit vergehen und jetzt doch noch kein weiteres Baby haben wollte. Ich verstand es zwar, war aber nicht bereit es zu akzeptieren. Nur Markus, mein Jugendfreund, den ich einst für viele Jahre für tot glaubte. Ich hatte ihn Gott sei Dank wieder, also hielt ich es für einen Wink des Schicksals, dass ich nun mit ihm alt werden sollte. Der Preis dafür war hoch, Robert war außer sich vor Wut und Eifersucht, da wollte er mich als Kindermädchen schon kündigen. Ich war allerdings längst nicht mehr nur die Nanny für Valentina, ich war wie eine Mutter für sie. Robert hielt jedoch an seiner Entscheidung fest, also war ich für einen sauberen Schnitt – ich verließ ihn und seine Tochter, zog zurück zu den Sonnbichlers und begann einen neuen Lebensabschnitt mit Markus. Strickt versuchte ich mich nur an die Arbeitszeiten zu halten. Aber Robert und mir verband etwas, was wir nicht so einfach ablegen konnten. Was uns vor allem immer wieder zueinander kommen ließ, war eine kleine Geschichte um einen einsamen Esel namens Emil. Eine Märchenstunde war der Beginn einer großartigen Idee für ein Kinderbuch. Während Robert also die besten Einfälle hatte, zeichnete ich Seite für Seite in seinem Beisein, und ganz nebenbei wurde einen einfachen Hirngespinnst Wirklichkeit. Markus war nie wirklich davon begeistert, dass ich trotz der Trennung von Robert gleichzeitig wieder so viel Zeit mit ihm verbrachte. Dass ausgerechnet er dann auf einer einsamen Koppel einen verzausten Esel fand und ihn vor dem Schlachthof rettete, wurmte wiederrum meinen Herrn hier neben mir. Oh ja, das kränkte ihn in seinem Stolz. Auch er ist ein großer Meister in Sachen Flucht, also verzog er sich daraufhin lieber zu seinem Bruder ab nach Brüssel. Es tat mir weh, und obwohl wir nicht mehr zusammen waren, vermisste ich ihn sehr. Denn immerhin verband uns eine besondere Freundschaft.

Während die Zeit verstrich, sponn sich langsam ein Netz der Intrigen am Fürstenhof zusammen, das alsbald seine schwarzen Schatten werfen sollte. Doch zuvor wurde gefeiert, als sich Götz doch noch mit Barbara von Heidenberg trauen ließ – sein Verhängnis. Die Ereignisse überschlugen sich, nachdem Robert von seinem „Urlaub“ wiederkehrte und im neueröffneten Bistro von Lena, der Schwester von Markus, Chefkoch wurde. Spannungen in der Fürstenhofküche waren daraufhin keine Seltenheit. Und der Start für das neue Gemeinschaftsprojekt von meinem Mann und seiner einstigen Gesellschafterin war schwer und ich war maßgeblich daran beteiligt, als mir mein Esel ausbüxte und eine teure Weinlieferung für das Bistro dabei zu Bruch ging. Es hätte mich Unmengen gekostet und ich hätte Jahre dafür schuften müssen, weil ich für solche Schadensfälle nicht versichert war. Was für ein Drama, schon überboten sich meine zwei Verehrer wieder gegenseitig – während Robert mir die Summe erlassen wollte, zahlte Markus diese lieber hinter meinem Rücken. Es waren meine Schulden, und da bin ich eigen. Ich war ziemlich sauer auf ihn, aber als mir Markus einen Heiratsantrag machte, war jeglicher Zorn wie weggeblasen. Er machte mich damit so glücklich, wie ich es schon lange nicht mehr war. Da sah ich Robert, und mir war klar, dass er mich immer noch liebte und an der Vergangenheit festhielt. Ich weiß nicht, wem es mehr weh tat – mir, weil seine nicht erloschene Liebe zu mir mich immer daran erinnerte, was wir mal miteinander hatten, oder ihm, weil ich ihn verletzte, da ich Markus heiraten wollte.

Also stürzte ich mich lieber in die Arbeit und versuchte mein Glück als Plakat-Designerin in einem Wettbewerb für ein Dorffest. Mein Motiv war bestimmt preisverdächtig, aber ehe ich mir dem sicher sein konnte, wurde es in einem Streit zwischen Markus und Robert zerrissen. Männer! Strotzen vor Hormonen und buhlen um die gleiche Frau – mich! Meine Gefühle fingen an, verrückt zu spielen. Ich war mit Markus zusammen und wollte ihn heiraten. Schließlich war er meine erste große Liebe und das Schicksal brachte ihn zu mir zurück – das musste doch was zu bedeuten haben!? Gleichzeitig fühlte ich in Roberts Gegenwart so viel Wärme sowie Geborgenheit, und es war immer lustig mit ihm… er hat eben einen wunderbaren Humor. Ich konnte nicht ignorieren, wie viel er mir nach allem noch bedeutete. Ich versuchte immer wieder, dagegen anzukämpfen und mir einzureden, es sei vorbei. Aber es war schwer, von ihm loszukommen. Wieder und wieder kam Robert mit neuen Einfällen für unsere Kinderbuchgeschichte an. So auch eines Tages, als ihm Gundula, die Gämse, in den Sinn kam – die Freundin von Emil. Mein Mann meint gerade, dass ihn Emils und Gundulas Geschichte immer an die unsrige erinnert. Das zögerliche Zueinanderfinden, der erste schüchterne Kuss… wie recht er hat. Damals zeigte ich ihm eine Zeichnung davon, da saßen wir nebeneinander auf meinem Bett und plötzlich sahen wir uns tief in die Augen. Ich gestehe, ich wollte ihn küssen. Ich wollte wieder von ihm umarmt und festgehalten werden. Ich wollte bei ihm sein. Beinahe! Fast hätten wir uns geküsst. Seine Lippen konnte ich schon spüren, aber ich… war verlobt mit einem anderen, ich durfte nicht! Wieder flüchtete ich, und daraufhin jagte ein Schrecken den nächsten. Ich kam nicht wirklich los von Robert, denn die böse Hexe Barbara wollte doch glatt unsere süße Valentina vergiften, ganz sicher. Wie sie so etwas nur wagen konnte! Wir hatten unglaubliche Angst und mochten uns nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn… Der gemeinsame Kampf gegen die Giftmischerin schweißte uns noch mehr zusammen, was ich jedoch nicht zulassen durfte. Wir waren kein Paar mehr und meine Hochzeit mit Markus musste auch noch geplant werden. Also sah ich keinen anderen Ausweg, damit Robert endlich von mir abließ, indem ich die Vermählung vorzog. Es stellte sich jedoch als nicht so einfach heraus, zumal Markus seine eigenen Vorstellungen hatte. Wieder stritten sich die Männer um meine Gunst, wobei der Ring meiner geliebten Oma verloren ging, mit dem ich unbedingt heiraten wollte. Enttäuschung machte sich breit, aber um endlich die Frau von Markus werden zu können, akzeptierte ich die Vorstellung, mit neuen Eheringen vor den Traualtar zu treten. Auch wenn sich der letzte Wunsch meiner Großmutter damit nicht bewahrheiten würde. Sie war so glücklich mit Opa gewesen und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ich mit dem Mann meiner Träume ebenfalls glücklich und alt werde. Doch wie sollte das ohne ihren Ring geschehen? Robert meinte schon die ganze Zeit immer wieder, meine Jugendliebe sei nicht der Richtige für mich – damit brüstet er sich heute noch gern, der Flegel. Klar, dass er letztlich damit recht behielt, aber das konnte ich ja damals noch nicht wissen. Nur tief im Herzen verstand ich es doch, als er es war, der den verloren geglaubten Ring wiederfand und ihn mir in einem Moment der Anziehung an meinen Ringfinger steckte. Es fühlte sich so richtig an, es kribbelte und unsere beiden Herzen brachten den Winter letztlich zum Schmelzen. Dennoch war ich so festgefahren in meiner Meinung, Markus heiraten zu müssen, dass ich wahrlich Scheuklappen aufhatte – ich zog die Hochzeit vor, um endlich Robert loszuwerden. Was aber komplett in die Hose ging als mich auf einer einsamen Landstraße ein Auto anfuhr und verletzt zu Boden riss. Das Schicksal schien nicht zu wollen, dass ich Markus‘ Frau würde.

Dabei hatten sich meine beiden Männer so rührend um mich gekümmert, mir ging es auch schnell wieder besser. Aber der glücklichste Tag meines Lebens – zumindest redete ich es mir immer wieder ein – entpuppte sich als Horrortag mit verheerenden Folgen! Vor meinen Augen starb im Flur des Fürstenhofs Götz Zastrow, der Vater meines Ehemannes in spe, an einer Vergiftung. Es war ein Schock für alle, der jeden auf seine Weise traf. Ich war komplett mit den Nerven am Ende und fand mich seltsamer Weise in den Armen von Robert wieder, der mir Halt und Trost schenkte, obwohl ich an diesem Tag beinahe vermählt worden wäre. Und seine Situation wurde daraufhin auch nicht besser, weil sich die ganze Polizeiermittlung auf ihn konzentrierte, obwohl ich doch gesehen hatte, wie Götz mit seinem letzten Atemzug auf Barbara zeigte und somit auf seine Mörderin. Keiner wollte uns glauben, stattdessen zog sich die Schlinge um meinen liebsten Kampfhahn immer enger zu, dabei war er doch unschuldig. Er tat mir so leid, ich wollte ihm so gern helfen, aber ungewollt verschlimmerte ich alles nur noch mehr. Dieses verfluchte Gewürzglas, in dem das Gift drin war. Barbara von Heidenberg verstand es, alle Aufmerksamkeit von sich zu lenken, so geriet mit ihrem weinerlichen Getue Robert gänzlich unter Mordverdacht. Ein Hin und Her, und seine cholerische Art war auch nicht wirklich dienlich für ihn. Ich gestehe, kurzfristig hatte ich ihm diese grauenhafte Tat auch zugetraut – aber freilich gegen die von Heidenberg, doch somit wäre Götz‘ Tod immer noch ein Unfall gewesen. Es ist unverzeihlich, wie ich ihn an ihm zweifeln konnte. Und wer öffnete mir die Augen, um das Elementarste überhaupt zu erkennen? Ich konnte es selbst kaum glauben, doch da stand er plötzlich vor mir – mein Vater, mein leiblicher Vater Gustl! Ich habe dir ja bereits von ihm erzählt. Dass ich ihm nun aber persönlich bei all dem Stress gegenüberstehen konnte, hatte ich Markus zu verdanken. Und obwohl ich noch offiziell mit ihm liiert war, erkannte mein Vater trotz der widrigen Umstände, dass es da einen ganz anderen Mann gab, für den mein Herz schlug und auch immer schlagen würde.

Aber der saß mittlerweile im Gefängnis! Zum Glück nur für eine Nacht. Aber ich vermisste ihn unendlich. Zu wissen, dass er nicht da war, dass ich nicht zu ihm konnte und er ganz alleine ohne Familie die Nacht verbringen musste, ließ mich nach ihm verzehren. Als er wieder durch die Wohnungstür trat, fiel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen und ich warf mich ihm gleich um den Hals. Etwas peinlich, ich geb’s ja zu. Aber auch Robert war mehr als happy! Für ein paar Tage schien es so, als würde sich alles zum Guten wenden. Valentina machte jeden Tag Fortschritte, mein Vater bändelte unterdessen mit der Schwester von Hildegard Sonnenbichler an und mein Kinderbuch feierte eine äußerst erfolgreiche Premiere im Bistro. Als ein Zeitungsartikel aber darüber berichtete und Robert und mich als glückliches Paar hinstellte, nur weil er mir den Fotografen gegenüber freundschaftlich gratulierte, wurde Markus ziemlich stinkig. Immer wieder zweifelte er meine Liebe für ihn an und stellte sie infrage. Er hatte recht, nur konnte ich es nicht zugeben. Aber alles wurde noch komplizierter. Meine Gefühle spielten Achterbahn, als Roberts Kind zur mir Mama sagte, obwohl ich nicht ihre Mutter bin. Für sie jedoch war es das Normalster der Welt, sie kannte es nicht anders. Und für Robert waren wir so etwas wie eine Familie. Es zerriss mich. Ich konnte Markus nicht verlassen, ich wollte ihn nicht verletzten. Aber was ist das für ein Grund, eine Beziehung aufrechterhalten zu wollen? Ich stand zwischen zwei Optionen, aber erst als Robert erneut verhaftet wurde, weil das blöde Gewürzglas im Magen eines dämlichen Wallers beim Ausnehmen in der Fürstenhofküche wieder auftauchte, und ich vor ihm am Gefängnisgitter stand, konnte ich es nicht mehr länger leugnen. Unser Kuss war für mich – oh, für meinen Mann auch –, der aufregendste nach unserem ersten Kuss in Verona. Gustle war demnach sehr gut in seiner Einschätzung über meine Person und in Bezug auf meine wahren Empfindungen. In Liebesdingen hatte er sonst nie wirklich ein glückliches Händchen außer beim Zeichnen, wenn man bedenkt, dass er ein Techtelmechtel mir meiner Mutter hatte und danach nie wieder jemanden so lieben konnte. Aber auch er fand sein neues Liebesglück mit Käthe, die er dann Hals über Kopf antraute. Um mich mit Robert verbunden zu fühlen, auch wenn kalte Wände und eisige Stäbe uns voneinander trennten, schrieben wir uns heimlich einander Briefe. Selbst diese eine Botschaft des gezwungenen Abschieds vermochte meine Gefühle für ihn nicht zu schmälern, auch wenn der Schreck darüber tief in meine Glieder fuhr. Meine Liebe und meine Überzeugung, dass ich nun wusste, wer der Richtige für mich war, ließen mich jedoch schnell erkennen, dass Robert mich nur zu schützen versuchte, damit ich aus der Schussbahn der Polizeiermittlung kam. Mein Mann sieht mir gerade tief in die Augen und haucht mir ein „es tut mir leid“ auf die Lippen. Er kann einfach nicht aufhören, sich ständig dafür zu entschuldigen… völlig unnötig!

Ich jedenfalls verteufelte mich dafür, dass ich zu lange so stur und blind war, über Monate hinweg so unentschlossen und in der entscheidenden Situation nicht durchsetzungsfähig. Die ganze Zeit wollte ich es dann Markus mitteilen, nur als ich endlich den Mut dazu gefunden hatte zugleich auch bereit war, die Konsequenzen dafür zu tragen und damit leben zu müssen, dass ich ihn deswegen zutiefst verletzten sowie auch seine Loyalität verraten würde, brach er vor mir zusammen noch bevor ich es ihm gestehen und mich von ihm trennen konnte. Auch wenn ich ihn nicht so lieben konnte, wie er es eigentlich verdient gehabt hätte, war er doch mein Freund. Und er bedeutet mir halt einfach zu viel, als dass mir sein Schicksal und seine Gesundheit nicht nahe gingen. Ich machte mir wahnsinnige Sorgen. Meine Ängste wurden dann auch noch bestätigt und rissen mich in einen tiefen Schlund der Dunkelheit, als mir Markus ganz einfach gerade heraus mitteilte, dass ein Tumor in seinem Kopf seinen Verstand auffresse außerdem nicht mehr lange zu leben hätte. Wie viele Qualen sollte er denn noch erleiden? Meine einstige Jugendliebe musste doch bereits so viel durchstehen. Ich konnte es nicht,… ich konnte ihm nicht noch mehr wehtun und ihm seine einzige Hoffnung auf Glückseligkeit – wäre sie auch noch so kurzweilige gewesen – verwehren. Solange er lebte, so schwor ich mir, würde ich bei ihm bleiben und ihm bis zum bitteren Ende beistehen. Einen Freund lässt man nicht im Stich – und Robert verstand es, dafür war ich ihm mehr als dankbar. Wir waren beide bereit zu warten, auch wenn uns klar war, dass es schwierig werden würde. Und Robert ist ein sehr heißblütiger Mensch, der sich Nacht um Nacht nach mir verzehrte. Aber selbst als Markus sich aus Trotz wie Starrsinnigkeit von mir trennen wollte, nur um mich schützen zu wollen und ihn nicht dahinsieden sehen zu müssen, gestand ich es mir nicht zu, seinen Tod zu akzeptieren. Da halfen weder sein Abschiedsbrief noch sein Verlassen des Fürstenhofes, alsbald kam er ja doch zurück. Ich blieb bei ihm und meinte es sehr ernst mit meiner Entscheidung. Voll und ganz wollte ich nun für ihn da sein und mich um ihn kümmern, wie es eine liebende Ehefrau an seiner Seite auch getan hätte. Es war eben nicht nur eine Rolle, die ich spielte. Hierfür empfand ich es jedoch als äußerst notwendig, dass ich mich nicht mehr von meinen Gefühlen für Robert ablenken lassen durfte. Markus‘ Heilung herbeizusehen und mich gleichzeitig in Träumen zu verlieren, in denen Robert und ich glücklich sein würden, empfand ich als zu zwiespältig und nicht richtig.

Eine Zeit der Aufruhr folgte, auch der Schatten einer gewissen Frau von Heidenberg breitete sich über den Fürstenhof aus. Während meine stete Suche nach einer greifbaren Chance für Markus‘ Genesung zu einer Therapiemaßnahme für ihn führte, versuchte ich nebenbei Roberts Aussichten für die anstehende Gerichtsverhandlung aufzubessern. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, für alle da sein zu wollen, doch langsam zehrte das alles auch an meinen Kräften. Zwar versuchte ich mich beim Falten der Kraniche für Markus, die Boten des Glücks, etwas zu entspannen und mich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren, dennoch hatte Rosalie Engel, die damalige Geschäftsführerin des 5-Sterne Hotels, bei einer Meinungsverschiedenheit mit ihr plötzlich meine Handfläche auf ihrer Wange. Ein schicker roter Fleck zierte die Seite ihres Gesichtes… ich war stolz darauf. Robert stimmt mir übrigens in diesem Punkt voll und ganz zu. Aber es war richtig, und sie war einfach zu weit gegangen mit ihren Äußerungen über meinen „Verlobten“ – ein Gehirntumor ist nun mal keine Behinderung. Dennoch spielte ich ein gefährliches Spiel mit einem Todkranken, welches mir Tag für Tag schwerer fiel, geheim zu halten. Und so platzte nicht minder überraschend die Bombe, als dessen Schwester dahinter kam. Ebenso platzte ein mit roter Farbe getränkter Beutel auf Markus‘ Brust, den ihn die sogenannte „Schwarze Witwe“ als Schandmal zuwarf, um zu verdeutlichen, dass an seinen Händen Blut klebe, weil sein Therapieplatz nur zustande kam, weil ein anderer Patient – der Ehemann der armen Frau – ihm diesen freiwillig überlassen hatte. Markus konnte das nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren, weil für sein vermeintliches Wohl jemand anderer hatte sterben müssen. Er glaubte nicht länger an ein Wunder, da wollte er wenigstens noch ein paar Dinge vor seinem baldigen Ende erledigt wissen. Wieder machte er mir einen Antrag… er wollte keine Zeit mehr vergeuden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Aber es war sein letzter Wunsch. Und deswegen hielt auch Lena still, denn ich schien das Einzige zu sein, was ihren Bruder noch aufrecht hielt. Verlogenheit, Scham und Verzweiflung plagten mich – ich kam mir so allein vor, und doch war ich es nicht. Ungeachtet der Gesamtsituation, in der ich steckte: an je einer Hand einen Freund, die mich beide liebten… und der eine wusste von dem anderen nichts, doch ahnte er es. Was ich brauchte, war Halt. Sicherlich war das egoistisch, aber ich bin schließlich auch nur ein Mensch; und ich war gefangen und umzingelt von meinen eigenen Fehlern. Ich sah mich einer Heirat gegenüber, die ich nicht wirklich wollte, jedoch bereit war einzugehen. Immer wieder stellte ich mir die Frage, was denn dann aber wäre, wenn der Tumor zurückginge? Ich wäre verheiratet mit dem Falschen! Ehe ich mich versah, stand der Richtige vor mir und sah mich mit diesen unglaublich treuen und wehmütigen Augen an, die mir alles zu verzeihen schienen, nur nicht länger warten wollten. Wer kann Robert schon widerstehen? Es war ein Moment der Schwäche sowie der entfachten Liebe, in dem ich mich auf ihn stürzte und küsste, als gäbe es keinen Morgen oder kein Drumherum. Für einen Augenblick waren wir allein, alle Probleme einfach nicht existent, und wir schwebten auf einer samtweichen Wolke am rosaroten Firmament. Der Absturz kam nur leider viel zu heftig, uns blieb irgendwie kein Raum zum Atmen, aber wir mussten Abstand voneinander nehmen… schließlich musste ich zu einer Hochzeit. Vom seltsamen Verlauf des Schicksals habe ich dir ja bereits berichtet, welches nicht wollte, dass ich Markus heiratete – so auch beim dritten Versuch. Noch bevor ich der Standesbeamtin mein Einverständnis geben konnte, knickten dem Bräutigam die Knie ein und er sauste unaufhaltsam gen Boden. Ein tiefer Schock rüttelte an mir. Ich war im Begriff, einen Freund in meinen Armen von dieser Welt fortgehen zu sehen, aber eine außerordentliche Notoperation brachte schließlich die unglaubliche Wendung in diesem ganzen Drama. Markus konnte geheilt werden und ich war (noch) nicht verheiratet. Aber er glaubte das! Dann endlich fand ich den Mut, ihm die Wahrheit zu sagen. Jetzt, wo er überleben würde, würde ihn das weniger Schmerzen bereiten. Außerdem hätte er alle Zeit der Welt, um darüber hinwegzukommen. Wie naiv konnte ich nur sein, das zu glauben? Nach allem, was ich mit ihm erlebt und durchgemacht habe, hätte ich es besser wissen müssen. Mit seinem dicken Kopfverband stand er wenig später am Abgrund seines Lebens und war bereit für den Freitod.

Meine alte Freundin Gitti war es schließlich, die meine alte Jugendliebe Markus rettete. Ich hatte sie Jahre nicht mehr gesehen, aber sie tauchte ausgerechnet zum richtigen Zeitpunkt auf und war zufällig an Ort und Stelle, um Schlimmeres zu verhindern. Und sie war es auch, die es in einer stürmischen Nacht vermochte, Markus neuen Lebensmut einzuhauen, damit er nach vorne blicken und neu anfangen konnte. Ohne mich, doch dies hatte er akzeptiert. Ihm war sehr gelegen daran, dass ich nun glücklich werde, als er erkannte, dass ich es nur mit einem gewissen Herrn werden konnte – mit Robert. Für mich bedeutete es sehr viel. Zwar war immer noch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen am Fürstenhof, weil Barbara noch nicht hinter Gittern war. Und auch unsere Bemühungen, sie aufgrund geheimer Machenschaften mit Markus‘ Arzt überführen zu können, waren vergebens, als dieser noch vor seinem Ende verstarb und es mal wieder keine Beweise für seinen Mord gab – wie überraschend. Aber ich war glücklich! Oft spazierte ich umher, konnte mich endlich frei fühlen und das Leben mit Robert genießen. Eines Tages fand ich ein kleines Küken, welches aus seinem Nest gefallen war und nun hilflos im Gras lag. Ich fand das Gelege und besorgte mir eiligst eine Leiter, um das kleine Ding da wieder hinein setzten zu können. Sein Geschwisterchen war ganz aufgeregt und schnäbelte es… nun hatten sie einander wieder. Und wie ich da oben stand, erinnerte ich mich daran, dass ich schon mal hier auf eben dieser Leiter vor eben jenen Baum stand. Genauso wie das arme Küken fiel ich einst hinunter. Mein Märchenprinz errettete mich jedoch, so fing er mich auf mit seinen starken Armen, in denen ich mich just wiederfand. Ich schaute empor und erblickte Robert – mein noch eben geborstenes Herz schlug plötzlich schneller und ward so denn entfacht von der Liebe, die ich darauf mit Beharrlichkeit zu ignorieren versuchte. Magie geschah, was Robert und mir aber erst klar wurde, nachdem ich das Vögelchen in Sicherheit brachte, er mich in Träumen versunken da fand und vor die Leiter trat. Ich hegte nun schon so lange Gefühle für ihn und konnte mir letztlich ein Leben ohne Robert und Valentina nicht mehr vorstellen. Auch er wünschte sich nichts sehnlicher auf der Welt, so stieg er Stufe um Stufe höher und trat mir gegenüber. In die Knie zu gehen, machte sich schlecht, aber dem Himmel ein Stückchen näher zu sein und bei schönstem Wetter, frohem Vogelgezwitscher sowie in einem bedeutungsschwangeren Moment den wohl spontansten, chaotischsten, dennoch herzerweichendsten Heiratsantrag zu bekommen, war unglaublich. Zuerst war ich wie vor dem Kopf gestoßen und Robert plapperte auch noch aufgeregt wie ein Wasserfall. Ich dachte immer „ja ja ja“, aber stotterte nur rum. Bis der Vater meiner zukünftigen Kinder völlig irritiert endlich mal die Klappe hielt und ich ihn mit meiner Antwort schließlich erlösen konnte. Es war klar, dass unter diesen Umständen meine erste große Liebe nicht länger am Fürstenhof bleiben konnte. Auch wollte er unserem Glück nicht nochmal im Wege stehen. Seines wollte er nun auf See suchen und scheint es bisher mit Erfolg zu tun. Ich vermisse ihn ab und zu – auch wenn mein Mann gerade eine ganz eifersuchtsvolle Schnute zieht… dafür kriegt er nun ein Küsschen… oder zwei, Markus nicht. So wie jetzt hätte es auch damals so schön wie auch so einfach sein können, aber erneut wurde es kompliziert. Nein, es wurde höllisch! Wir hatten mit Bravur unsere peinlichen Ehetauglichkeitstests beim Junggesellenabschied bestanden und am Abend darauf unseren Polterabend mit Saus und Braus gefeiert. Tags darauf als ich den Meister in Allem bei einen gemeinsamen Ausflug an den See damit überraschte, dass ich keine gute Schwimmerin sei und wir anschließend nur am Ufer Späße miteinander trieben, versetzte ich ihn wenig später völlig ungewollt den Schock seines Lebens! Ich erlerne gern die Dinge, an denen es mir mangelt, sei es kochen oder eben schwimmen. Ich wollte für meinen zukünftigen Ehemann den Sprung ins kalte Nass wagen und mich trauen. Die Hochzeit wäre erst in ein paar Stunden gewesen, also ging ich vorher nochmal an den See, um zu schwimmen… mein Bruder und ich sind darin beide nicht sehr gut, wir haben schlichtweg eine Heidenangst. Dass mir die Lust danach jedoch so derbe verdorben werde würde, hätte wohl keiner gedacht. Ich war schon vorsichtig und skeptisch, als plötzlich ein Mann am Strand bei meinen Sachen stand. Wie schnell man jedoch Opfer eines Verrückten werden kann, ist unglaublich! Da hilft kein Schreien, kein Treten, kein Weglaufen! Curd Heinemann entführte mich am Tag meiner Heirat und verschleppte mich an einen dunklen, kalten Ort… am Leib trug ich nichts als meine klammen Badesachen, die ich eigentlich später gegen mein wunderschönes Hochzeitkleid austauschen wollte. Die Sache war natürlich geschickt inszeniert und eingefädelt worden von keiner anderen als von Barbara von Heidenberg, diese Schlange. Sie ist so rachsüchtig und vom Hass zerfressen, dass sie sich die durchtriebensten Scheußlichkeiten ausdachte. Sie war schließlich auch zu einem Mord fähig, also waren meine Aussichten alles andere als rosig. Ich brauchte eine Weile, um ihre Beteiligung an meiner Entführung zu erkennen und dass sie Curd, den Vater von Nils Heinemann, nur für ihre Zwecke missbrauchte. Während ich jedoch nur auf einer einfachen Matratze am Boden gefesselt und geknebelt da lag, fror und wegen einer aufkeimenden Erkältung zitterte, war alles, was ich sehen konnte, nur er. Sein Gesicht, seinen falschen Schnäuzer, welchen er stets zur Tarnung trug, und dieser Hut. All das brannte sich im Fieber in mein Hirn ein und machte mir Angst. Und doch war gerade er es, der sich trotz meiner Gefangennahme um mich kümmerte. Wäre er nicht bei mir geblieben und hätte mich versorgt, hätte mein hier Sternekoch tatsächlich zum Leichenschmaus laden müssen. Dass natürlich eine groß angelegte Suche vonstattenging, Ermittlungen zu meinem mysteriösen Badeunglück angestellt wurden und letztlich alle Hoffnungen im See untergingen, konnte ich ja nicht ahnen. Aber ich wusste instinktiv, dass Robert mich nicht aufgegeben hatte. Er, mein Bruder und unsere Freunde suchten weiter nach mir, während sich andere das Fell versoffen und ihren Kummer mit Schnaps und Wein ertränkten. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit seit meiner Entführung vergangen war, oder ob Robert mittlerweile wahnsinnig vor Sorge wurde – ja, das war er… danke für den Hinweis; er hat sich die Seele aus dem Leib geschrien, als er meinen Namen immer wieder rief und mich (fast) überall suchte. Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie sehr er damals litt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie grausam es ist, den Menschen zu verlieren, den man liebt. Für viele Jahre galt Markus für tot, und auch er ertrank gemäß den offiziellen Angaben zufolge auf See. Für Robert wäre es jedoch das zweite Mal gewesen: Er hatte schon mit dem Tod seiner ersten Frau Miriam unsagbares Leid durchstehen müssen, als diese bei der Geburt seiner Tochter am Kindsbett verstarb. Nun auch noch die zweite Liebe für tot erklärt zu bekommen und dass auch noch an dem Tag, der doch der schönste im ganzen Jahr werden sollte. Nur einem glücklichen Umstand war es dann zu verdanken, als ich die einmalige Gelegenheit dazu bekam, Curds Handy zu entwenden, um Robert damit anzurufen. Natürlich hätte ich auch die Polizei informieren können, aber ich hatte nur einen Gedanken. Und dann ging alles ganz schnell! Robert wurde klar, dass ich nicht im See ertrunken war, sondern noch lebte. Barbara fand heraus, dass ihr Komplize eigene Pläne hatte und nur ungern ihre Spielchen mitspielte, also war sie zum Handeln gezwungen. Oft genug musste ich den kalten Lauf ihrer Pistole spüren, sie drohte mir, sie werde mich erschießen, wenn der Mann, der ihr ungeborenes Kind umbrachte, nicht das tun würde, was sie von ihm verlangte... daher wehte also der Wind. Sie gab Robert die Schuld an ihrer Fehlgeburt, die sie im Frühjahr erlitt. Auch sie war schwanger gewesen, allerdings von Markus und nicht von Götz, doch das ist eine lange Geschichte. Aber sie selbst war schuld daran, kein anderer. Dem Tod sah ich dann endgültig ins Auge, als sie mich zum vereinbarten Treffpunkte schleifte. Ich war so schwach, ich wollte doch nur noch nach Hause. Stattdessen wurde mir klar, dass eine verlassene Lichtung mitten im Wald mein Sterbebett aus trockenen und kalten Blättern, harten Ästen und feuchtem Moos sein würde. Mein Leben für das von Valentina – niemals! Nie! Robert wurde vor die Wahl gestellt, aber dabei konnte er nur verlieren. Die von Heidenberg war so irre geworden. So plante sie ihre Flucht mit einem fremden Kind, welches sie als ihr eigenes ausgeben wollte, ins ferne Ausland. Aber unsere Prinzessin war doch noch so klein, er durfte sie ihr nicht geben! Da schnalzte bereits der Zünder ihrer Waffe und ich betete nur noch zu Gott, der mir eigentlich doch so egal geworden war. Kaum hatte ich begriffen, was passiert war, sank ich in Roberts Armen zusammen. Das Baby war nur eine Puppe, um Barbara zu täuschen. Bitte nie wieder so ein Nervenkitzel am Rande des Wahnsinns! Denn ich wollte diese Frau nie wieder sehen. Und dass Robert in ihrer Gegenwart zu allem bereit war, hatte er eindrucksvoll, aber wenig rühmlich bewiesen, als er auf sie schoss, nachdem sie durch das Geäst des Waldes wegrannte. Vorerst wähnten wir uns in Sicherheit und holten unsere Traumhochzeit nach. Liebes Tagebuch, wie du bereits weißt, konnte mein leiblicher Vater Gustl so schnell nicht an den Fürstenhof kommen. Da aber Alfons mir seit meiner Ankunft am Hotel eine große Stütze war, hielt er meine Hand und übergab mich voller Stolz in die Obhut meines Zukünftigen. Es war der schönste Tag seit langem, vor allem in diesem Sommer. Ständig hatte es geregnet, oft genug war etwas passiert – aber als wir uns das Ja-Wort gaben, strahlte die Sonne und kein Wölkchen war zu sehen. Alles blühte in farbenfroher Pracht, die Blumen schmückten die Wiesen und dufteten wundervoll, die Wärme umfing uns und machte sich in unseren Herzen breit. Alle Last war von unseren Schultern gefallen, so standen wir mit unbeschreiblicher Leichtigkeit vor Hildegard, die eine anrührende Rede hielt. Robert und ich wollten beide nichts sehnlicher als endlich Mann und Frau zu sein! Wir wollten für einander da sein, in guten wie in schlechten Tagen, was wir bereits eindrucksvoll bewiesen hatten, in Gesundheit wie in Krankheit. Nun waren wir wirklich eine Familie – er, unsere Tochter Valentina und ich! Als wir uns küssten, wusste ich, wir würden jede Prüfung gemeinsam bestehen sowie jede Hürde meistern. Ich verfluche jedoch diese Frau bis ans Ende meiner Tage, die im Augenblick größter Freude und Unbeschwertheit es auch nur wagte, unser Glück in der Luft zu zerreißen. Die Party war bereits im vollem Gange, da schmetterte alles auf uns nieder, der Knall war ohrenbetäubend, selbst die Druckwelle schleuderte uns mitsamt der Möbel zu Boden. Eine riesige Explosion zerstörte in Sekundenbruchteilen Roberts Elternhaus, den Fürstenhof. Es brannte überall, Qualm stieg empor und kroch durch jede Ritze. Die Leute in den oberen Stockwerken waren gefangen. Jene, die unten waren, mussten unzählige Schutzengel gehabt haben. Wir konnten hinaus fliehen, wie alle anderen auch. Nur einer war verletzt worden, unser Freund Nils. Ihm hatten wir es zu verdanken, dass bei diesem feigen Anschlag keiner ums Leben kam. Doch nun rang er um das Seine. Zuvor hatte ausgerechnet sein Vater ihn den Tipp gegeben und davor gewarnt, ein Unheil würde passieren, wenn er nicht schnell genug handle. Er fand die Bombe und alarmierte alle. Unser Retter, wir bangten um ihn. Doch seine Verletzungen waren so schwerwiegend, dass mit einer Lähmung zu rechnen war. Dass Einzige, was unseren Kummer in jener Zeit, kurz vergessen ließ, war die Polizei-Meldung, wonach Barbara von Heidenberg auf ihrer Flucht mit einem gecharterten Leichtflugzeug in Italien abstürzte und im Wrack bis zur Unkenntlichkeit verbrannte. In Italien, ieh! Zum Glück konnten man Nils mithilfe einer Operation retten.

So verging die Zeit wie im Fluge, während der Fürstenhof wieder aufgebaut wurde. Für Robert und mir wurde es Zeit, konkrete Zukunftspläne zu schmieden. Auf unserem Wunschzettel steht bis heute ganz oben: Kinder, viele! Wenn’s geht, am besten gestern schon. Aber durch meine Fehlgeburt ist es für uns etwas schwieriger geworden. Leider. Die Ära Zastraw am Hotel fand mit Lenas Abschied ein jähes Ende – bekannte Gesichter gingen, alte Freunden fanden den Weg zu uns. Auch neue, interessierte Gäste stürmten alsbald durch die Pforten, als der Fürstenhof im neuen Glanz wieder eröffnet wurde. Viel Zeit, Geld und Schweiß wurde hinein gesteckt, aber alles wurde so viel schöner als es vorher war. So hatte letztlich Barbaras Rachefeldzug gegen die Familie Saalfeld doch noch ein gutes Ende. Kurzfristig wurde Robert sogar zum Geschäftsführer dieses Luxus-Quartiers, doch Streitereien mit seinem Vater hatten zur Folge, dass er das Amt schnell wieder loswurde. So kam es, dass auch wir nun Abschied nahmen, nachdem Robert das verlockende Angebot zur Übernahme des Restaurants „Die 12 Apostel“ bekam. Wir wollten einen neuen Weg beschreiten, hier in Verona.

Den Rest kennst du ja bereits, denn als sich die Familie wieder miteinander versöhnte und wir uns von Freunden und Angehörigen verabschiedeten, erhielt ich dich als Geschenk! Deine Seiten sind bisher gut gefüllt… es war ja auch ein aufregendes Jahr 2011! Wir haben uns wahrlich fürstlich davon auf dem Hof bei meinem Bruder verabschiedet. Mag das Jahr 2011 seine wenigen Höhen und vielen Tiefen gehabt haben, so dachten wir uns doch, dass wir selbst den Jahreswechsel gut ausgehen und vor allem auch gut beginnen lassen könnten. Unter tosendem Beifall von den anderen beiden nahm mich Robert gut eine Minute vor Mitternacht in den Arm und meinte: "Ich küsse dich zum Abschied und lasse dich dieses Jahr nie mehr los!" In der Ferne hörte ich irgendwann noch den Countdown, aber ich klebte an den Lippen meines Mannes, als würde mein Leben davon abhängen. Und so dauerte unser Kuss ewig - zumindest kam es mir so vor. Die ersten Raketen wurden bereits gezündet, und mit viel Glitzer im Hintergrund sah ich schließlich Robert an und grinste überglücklich. 2012 konnte kommen, wir hatten es grandios begonnen. Da flüsterte ich ihm zu: "Ein Kuss am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!" Wir hätten zwar wie viele Tausende andere auch zur Arena von Verona gehen können, um uns das dortige Feuerwerk anzuschauen, aber so feierten wir im kleinen Rahmen ins neue Jahr. Robert hatte sich zuvor bei Freunden schlau gemacht, was hier traditionell aufgetischt wird, daher gab es, nachdem wir die bösen Geister mit ein paar Raketen sowie Knaller verscheuchten und uns in den Armen haltend das Spektakel der bunten Nacht anschauten, ein Linsengericht namens „Cottechino“. Ok, das Gericht selbst heißt nicht so, sondern das, was zu den Linsen serviert wird. Das ist gefüllte Schweinshaxe. Robert zauberte sie extra für uns mit einer Schinkenfüllung, sehr lecker. Für seine Gäste im Restaurant hat er die jedoch mit einer traditionellen Hackfüllung bereits vorbereitet. Und wie gesagt, die wird mit Linsen serviert – die gelten als Glücksbringer und stehen für Geldsegen. Zusammen mit Debby und Jacob feierten wir noch lange, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich da nicht einen schmucken Glitzerring am Finger von ihr gesehen habe. Ich gestehe, der Sekt war äußerst lecker, daher war ich schon früh beschwipst. Robert ist auch nichts aufgefallen. Aber wir hatten ja auch andere Dinge mehr im Sinn. Mit unserer schlafenden Prinzessin ging es per Taxi zurück nach Hause und haben eiligst unsere Süße ins Bett gebracht. Das Glück haben wir dann sogleich herausgefordert, indem wir als uns heißblütige Neu-Italiener an die rote Wäsche gingen.

Tja, nun liegen wir hier. Und Robert warnt mich gerade... wenn ich dich nicht sofort zur Seite lege - ah, er knabbert bereits an meinem Ohr -, könnten wir Pech haben und unser kleiner Wirbelwind begrüßt das Jahr 2012, noch ehe wir – oooh, mhhhh…