Sonntag, 12 Februar 2012 [Woche 18]
by XShipper
Drama in Verona

Der Zoff mit Robert war nicht gut – meine Feststellung der Woche! Wo wir uns vor ein paar Tagen noch stritten, beschränkte sich die Kommunikation nun auf ein absolutes Minimum. Lediglich die nachtragenden Blicke sprachen Bände. Wir schauten uns nicht selten fragend an – skeptisch der Situation gegenüber, wie es mit uns wohl weiterginge. Es tat mir weh, aber ich wusste auch, dass er darunter ebenso litt. Aber wir kamen irgendwie nicht zueinander, bis… ja, bis es Valentina plötzlich schlechter ging.

Sie war seit Montag zuhause, da wetterbedingt die Kindergärten und Schulen geschlossen hatten. Und Robert hatte alle Hände voll zu tun, denn wegen der Kälte, die auch für italienische Verhältnisse ungewöhnlich war, rannten die Italiener scharenweise in die Restaurants und Cafés, um sich aufzuwärmen und es schien halt, als würden sie dort ewig verweilen! Also war sein „12 Apostoli“ mit Leuten überhäuft und in der Küche herrschte ein scharfer Drill seinerseits, was seine angefressene Grundstimmung widerspiegelte. Ich wollte rein, und ich weiß, ich hätte es auch tun sollen. Aber erstens empfand ich die Situation als so dringend und zweitens wollte ich nicht in die Küche reinplatzen, ihn nerven und mich wieder auf eine Diskussion einlassen. Ich hatte einfach Sorge um Valentina! Es war Donnerstagabend und kein Kinderarzt hatte mehr offen – mir blieb nur die Notfallaufnahme.

Schon den ganzen Tag über ging es ihr nicht sonderlich gut, sie weinte viel und kam immer wieder an, nur um sich an mich zu klammern. Ich habe sie ständig rum getragen und dachte eigentlich, sie wäre müde, aber schlafen wollte und konnte sie auch nicht. Sie quengelte und hatte keinen Appetit. Nachdem sie auch noch das Trinken verweigerte, machte ich mir ernsthaft Sorgen. Beim Wickeln entdeckte ich schließlich den rot schimmernden Ausschlag, der mich letztlich zum Handeln zwang.

Da schnappte ich sie mir und entschied über Roberts Kopf hinweg – aus den oben genannten Gründen –, mit ihr sofort ins Krankenhaus zu fahren. Draußen war es so kalt, dass ich sie kaum in den Kindersitz bekam. Ich verfluchte dieses Mistwetter, meine Nerven waren blank. Und je mehr ich mich beeilen wollte, desto zittriger wurde ich. Dieser blöde Gurt, er wollte einfach nicht einrasten. Valentina schrie mittlerweile und ich fing auch noch an zu weinen, da ich sie ja in diesem Moment nicht beruhigen konnte… ich weiß auch nicht. Aber dann schlossen sich von hinten kommend große, in schwarze Lederhandschuhe steckende Hände um den Griff. Trotz der Kälte schoss mir bei dem Anblick dieser ein noch eisigerer Schauer über dem Rücken und ich fühlte mich augenblicklich um ein halbes Jahr zurückversetzt, als Barbara von Heidenberg nach dem Leben meiner Kleinen trachtete. Aber dann war es plötzlich vollbracht. Mein Bruder hatte das scheinbar Unmögliche geschafft und ich war erleichtert. Er war mein Retter.

Hinter ihm stand Debbie und beide fragten mich vollkommen beunruhigt, was denn los sei. Da ich nicht gewillt war, die ganze Schoße mit Robert vor ihnen auszumären, erklärte ich nur, ich müsse sofort los. Just in dem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich ohne meinen Mann keinen an meiner Seite hatte, der mir sprachtechnisch hier sonst helfen würde können. Ohne fragen zu müssen, setzte sich Jacob auf den Beifahrersitz, wies mir den Weg, und Debbie nahm hinten bei Valentina platz, um sich während der Fahrt um sie zu kümmern.

In der Notaufnahme half sie mir auch bei der Übersetzung der Symptome gegenüber den Ärzten, die alles zur Vorgeschichte des Kindes wissen wollten. Es wurde schnell klar, was es war und um welche Krankheit es sich hier handelte – Valentina hatte Scharlach! Bei all der Hektik und des Dramas um die Kleine hatte ich jedoch Robert ganz vergessen. Wir mussten ja eingangs unsere Mobiltelefone ausstellen und ehe wir die endgültige Diagnose gestellt bekommen hatten, war ja seit unserer Abfahrt von zuhause eine ganze Weile schon vergangen. Mir war klar, dass er längst Feierabend hatte und bereits eine leere Wohnung ohne irgendeine Nachricht von mir vorgefunden haben musste. Also, war der nächste Stress vorprogrammiert.

Ich hätte einfach über meinen Schatten springen sollen, aber so wurde es halt nur noch schlimmer. Für das arme Würmchen gab es erst einmal Medikamente, aber einen Kinderarzt sollte ich trotzdem nochmal aufsuchen – auf der Heimfahrt schlief sie aber endlich ein. Für deren Hilfe bedankte ich mich bei den anderen beiden, aber verabschiedete mich auch sogleich. Sie wollten eigentlich mit rauf, aber das wollte ich nicht, also lehnte ich dankend ab… mit irgendeiner dusseligen Erklärung. Ich wollte sie nicht abwimmeln, aber mit dem Wissen, was mich wohl oben erwarten würde, wollte ich sie da nicht auch noch mit hinein ziehen.

Und Robert war außer sich! Es war ihm wirklich anzusehen, dass er krank vor Sorge, aber auch tierisch wütend auf mich war. Während ich mit Valentina auf dem Arm an ihm vorbei ging und sie ins Bett brachte, sagte er nichts. Erst, als ich ins Wohnzimmer zurückkam, begann das Drama! Selten zuvor habe ich diesen Blick bei ihm gesehen, der nun mir galt. Seine Haare waren wuschelig vom vielen gestressten Durchfahren, er stand mitten im Raum und seine Augen glühten förmlich durch seinen länger gewordenen Pony hindurch, und dieser eisige Ton in seiner Stimme… Das erste, was er mir an den Kopf knallte, waren seine Worte „Was fällt dir ein!?“

Ein Blick auf mein Handy verriet mir dann, dass ich unzählige seiner wohl besorgten, und später bestimmt auch wütenden Anrufe verpasst hatte. Er war nach Hause gekommen und die Wohnung war leer. Auch er hatte die schlimmsten Befürchtungen. Eine davon war gewesen, dass man uns entführt hätte. Doch die schwerwiegendste Vermutung war die, dass ich aufgrund der schlechten Verhältnisse zuhause mit „seinem“ Kind einfach abgehauen und ihn verlassen hätte. Dieser Vorwurf tat weh. Es artete in einen sehr emotionalen Streit aus, und Robert wollte einfach nicht verstehen, dass ich so etwas nie tun würde, dass ich nur um Valentinas Wohl besorgt war, dass ich ihn bei der Arbeit nicht stören wollte, weil das in der Vergangenheit immer wieder zu Reibereien führte. Und gerade das sorgte für einen riesen Krach. Dann schepperte es.

Ehe wir beide begreifen konnten was geschehen war, lag das Sinnbild unserer Leidenschaft zerbrochen auf dem Boden. In seiner Rage hatte Robert die Verona-Schneekugel vom Nachtschrank gefegt. Wir starrten darauf und plötzlich war alles ganz still. Wie in Zeitlupe verteilte sich das mit künstlichen Schneeflocken versetzte Wasser über das Parkett. Ich glaube, in diesem Moment hatten wir beide das Gefühl, unsere gemeinsame Zukunft davon schwimmen zu sehen.



Das doch das Schöne an einem Streit ist immer die Versöhnung! Wir standen einander gegenüber, er schwer atmend und ich weinend. Ich weiß nur noch, dass wir uns plötzlich in den Armen lagen und für eine Ewigkeit nicht mehr losließen. Seine ganze Halsbeuge wurde nass von meinen Tränen und er säuselte mir immer wieder ins Ohr, wie leid ihm das alles tat und er den Streit nur noch vergessen wollte. Ich doch auch! Das war wirklich die schlimmste Woche seit langem, aber gerade diese Nacht gehörte mit zu den schönsten, die wir je hatten. Er und ich wollten nichts sehnlicher, als einander wieder nahe zu sein. Wir verschmolzen wieder zu einer Einheit mit viel Liebe und Leidenschaft… einem gemeinsamen Kind und Zukunft, die gerade noch auf Messers Schneide stand.

Und das alles wegen eines Irrtums, von dem er glaubte, ich sei schwanger! Meine Stimmungsschwankungen, meine Übelkeit… ich hab es ihm immer noch nicht sagen können. Ich weiß, ich sollte, aber erst einmal muss ich mich um Valentina kümmern, damit sie wieder gesund wird. Bis bald…

Deine