Sonntag, 05 Februar 2012 [Woche 17]
by XShipper
Verhängnisvolle Missverständnisse

Als der Schnee sachte auf Veronas Straßen fiel, saß ich allein im Wohnzimmer. Ich hockte am Fenster und beobachtete die feinen Flocken, die mit der Zeit alles weiß bepuderten. Es war schön anzuschauen. Ich konnte es mir zuerst nicht so recht vorstellen, wie eine so mediterrane Stadt im Winter aussehen möge. Und dabei war es so einfach: Die Dächer verschwanden unter einer Schicht aus Schnee und auf dem Boden zeichneten sich plötzlich Fußabdrücke ab, die davon zeugten, wie jemand in dieser bitteren Kälte unterwegs gewesen war und nun seine Spuren hinterließ.

Ich liebe Schnee und fühlte mich endlich ein bisschen geborgen. Mit einer heißen Tasse Kakao und in einer kuscheligen Decke eingehüllt starrte ich hinaus und vergrub mich vor meinen eigenen Gedanken. Diese Frau, ich kann sie einfach nicht vergessen – sie macht mich noch wahnsinnig. Und Robert habe ich davon immer noch nichts erzählt. Sicherlich würde er eine super-gute Erklärung dafür parat haben und mir Mut machen. Bestimmt könnte er mir auch diesen bösen Geist austreiben… stattdessen habe ich Angst und behielt bisher meine Mutmaßungen für mich.

Ablenkung brachte da Debbie, die mit Jacob neulich zu Besuch kam. Wir hatten ihnen beiden von Emmas Besuch und ihrer Dirndl-Modenschau erzählt. Da war sie ganz neidisch, dass Valentina ein kleines Kleidchen von ihr geschenkt bekam und sie alles verpasst hatte. Da sie in den USA aufgewachsen ist, war das traditionelle Bayern Sinnbild für Deutschland – und wie sich heraus gestellt hat, ist Debbie total Dirndl-närrisch! Daher wollte sie mit ihren Kommilitoninnen unbedingt zu so einem Fest nach „bayrischer Art“, welches ihre Universität anlässlich der veronesischen-münchner Städtepartnerschaft veranstalten wollte. Soviel ich weiß, hat sie nun tatsächlich eines von Emma ihren Stücken. Ich freu mich für sie.

Ansonsten ging es mir die Woche über halt nicht so gut. Die Kälte hatte mir vermutlich zugesetzt, genauso wie die Spinnerei, die langsam aber sicher an meinen Nerven zerrt. Doch die Winterlandschaft lud gerade dazu ein, mit Valentina draußen rumzutoben und zumindest für eine kurze Zeit alles zu verdrängen. In den Kinderwagen war das Prinzesschen partout nicht reinzukriegen, sie wollte lieber das Knirschen unter ihren kleinen Winterstiefeln hören, ständig in den Schnee greifen und ihn in den Mund stecken. Ihre Handschuhe waren zwar schnell nass, aber zum Glück hatte ich Ersatz mit. Sie sah so süß aus und war wie ein Eskimo in Miniformat eingepackt. Ihre Augen funkelten und sie lachte so wunderbar, das machte mich glücklich… wenigstens für eine kurze Weile.

Neulich hatte ich einen Alptraum. Ich hatte bereits den ganzen Tag auf der Couch zugebracht und fühlte mich elendig, so lustlos. Ich hätte eigentlich die Zeit nutzen sollen, um für mein zweites Kinderbuch Zeichnungen anzufertigen, die der Verleger haben wollte,… doch ich konnte nicht. Nachts stürzte mein kleines Kartenhäuschen dann zusammen und ich träumte davon, wie ich mit Debbie ohne unsere beiden Männer bei diesem bayrischen Fest bin. Es herrschte eine Atmosphäre wie auf der Wies’n, es war laut und überall waren Menschen über Menschen. Ich verlor Debbie aus den Augen und irrte allein umher. Immer wieder rief ich nach ihr, sie konnte mich jedoch nicht hören, und letztlich hatte ich das Gefühl, ich drehe mich nur im Kreis. Bis ich das unverkennbare Lachen hörte, bei dem es mir eiskalt den Rücken runterlief, und plötzlich in den Lauf einer Pistole starrte.

Als ich hochschreckte, war mir speiübel. Draußen dämmerte bereits, so fand ich den Weg ins Bad auch ohne ein Licht anmachen zu müssen – ich hatte nicht die Absicht, meinen Mann zu wecken. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es und übergab das einstmals leckere Pilztatar auf Carpaccio, was uns Robert zum Abendbrot gemacht hatte.

Das machte die ganze Situation natürlich nicht viel einfacher, denn Robert hatte es ja doch bemerkt. Als ich mich neben der Toilettenschüssel erschöpft auf den Boden setzte, stand er in der Tür und schaute ganz merkwürdig. Mir war so klar, was er in diesem Moment dachte. Ob er meine Ausrede abgekauft hat, dass es ich die Pilze einfach nur nicht vertragen hatte, mag ich zu bezweifeln!

Denn die nächsten paar Tage beeilte er sich abends immer im Restaurant, um früher zuhause sein können. Dann brachte er stets ein paar neue Essensproben mit, die ich alle für ihn kosten sollte. Er bestand so sehr auf meine Meinung, aber ich hatte so meine Mühe. Und frühs quälte er sich als Erster aus dem Bett und machte soweit alles fertig, sodass ich gar nicht mehr viel machen musste bis wir gemeinsam Valentina in die Krippe brachten. Das wurde mir langsam irgendwann irgendwie zu viel. Aber ich sagte nichts.

Ich gebe zu, dafür genoss ich es auch einfach zu sehr, wenn er wie ein Kind ganz aufgeregt vor mir rumtanzte, in seinem Redeschwall gar nicht mehr zu stoppen war und mich mit großen Augen anschaute, wenn ich skeptisch auf der Gabel rum kaute. Und morgens waren seine Guten-Morgen-Küsse, die er überall auf mir verteilte, um mich zu wecken, auch zu süß. Ich war irgendwie hin und hergerissen. Aber ich sitz gerade nicht umsonst wieder allein hier rum.

Vor ein paar Tagen schoss Robert den Vogel ab. Noch am Morgen grummelte es mir wieder in der Magengegend, weil ich eine so unruhige Nacht hatte. Die Angst schlägt sich halt auf meine Verdauung, also hatte ich es eilig. Ich hatte die Tür abgeschlossen, um ihm zuvorzukommen, also musste er draußen warten. Und Robert wartete wirklich, obwohl ich ihn von drinnen ein paar Mal versicherte, mir ginge es gut. Als ich endlich aus dem Bad raustrat, guckte er mich wieder so seltsam an. Ich kann seinen Blick kaum beschreiben. Aber es ist, als würde man seine Gedanken lesen können. Ich weiß, ich bin nicht fair und ehrlich ihm gegenüber, daher eilte ich ohne weitere Kommentare für den Rest der Nacht zurück ins Bett.

Am Nachmittag hatte Robert eine kurze Pause und erzählte mir von seiner guten Tat – er hatte ein Familientreffen organisiert, mit seinen Eltern und Geschwistern, welche er alle zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu uns einlud. Ich mag es nicht, wenn etwas ohne meine Zustimmung bzw. hinter meinem Rücken geschieht. Und ohne auf den Punkt zu kommen, stritten wir uns. Total unsinnig, ich weiß, aber ich war zumindest froh, dass DAS THEMA nicht erwähnt wurde, also brauchte ich weder was verneinen noch abstreiten, wofür ich jetzt noch nicht bereit war, mit ihm zu diskutieren. Dann knallte die Tür ziemlich, als er hinaus stürmte. Und als gestern auch noch eine Grußkarte von Markus in der Post lag, über die ich mich mehr freute als über den wohl kommenden Besuch unserer Verwandten, fühlte sich Robert verraten und verbrachte den gestrigen langen Abend ohne weitere Aussprache lieber bei Gianni. Ich war sauer, wie er eine so läppische Karte als eine Gefahr betrachten konnte. Ich war doch nur froh über die Ablenkung und fand Markus‘ Abenteuer, die er beschrieb, lustig.

Das ließ meine Laune aber nicht wirklich steigen, denn nun sitz ich hier und bedaure, dass ich Robert weder nachts noch heute früh gesehen habe. Auch der beruhigend schöne Schneefall hat nachgelassen. Das bisschen Schnee wird zu Matsch,… der Anblick trübt meine Stimmung. Ich hoffe, die Situation und das mit uns können wir wieder kitten. Wünsch mir Glück, liebes Tagebuch, bis bald…

Deine